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"Westfalen-Blatt" vom 26. September 2021
Ein Artikel von Gabriela Peschke

Vorpremiere von „Goldzwanziger“ begeistert

Duo „2Flügel“ begeistert in Bad Oeynhausen mit Vorpremiere des Programms „Goldzwanziger“

Berauschende Stimmung in der andächtig beleuchteten Auferstehungskirche am Kurpark in Bad Oeynhausen: Das Kirchenschiff tobt, ein Applaus jagt den nächsten, Bravo-Rufe branden auf. Herzliches Lachen wechselt mit feierlicher Stille. Wer hätte erwartet, dass zwei Menschen mit ihrer Musik und ihren Worten die Herzen der Zuhörer auf so außergewöhnliche Weise bereichern würden?

Nun, wer das Duo „2Flügel“ kennt und sie gar im Kirchenkreis Vlotho zuvor schon einmal erlebt hat, der durfte sich auf einen besonderen Abend freuen: Die Vorpremiere des neuen Programms „Goldzwanziger“.

Wer bis dato den Pianisten Dr. Benjamin Seipel und die Schriftstellerin Christina Brudereck nicht kannte, der erlebte bei diesem Konzert: Hier ist das Ganze weit mehr als die Summe seiner Teile. Denn hier verweben sich Musik und Lesung zu einem Feuerwerk an Lebenslust, betrachtet durch das feine Brennglas eines vertrauensvollen, christlichen Menschenbildes.

Aufbruch in der Kultur

Mit „Goldzwanziger“ präsentierte das Duo einen Streifzug durch das pralle Leben der 1920er Jahre: Aufbruch in Kunst und Kultur, Umbruch in der Politik und Wirtschaftskrise. Erfindungen, Entdeckungen, Entgleisungen. Christina Brudereck fand Worte über Charlie Chaplin, Albert Einstein und Friedrich Ebert, über die Erfindung von Penizillin und Tempo-Taschentuch, Charleston und Bubikopf.

In ihren prägnanten Miniaturen beschwor sie eine Epoche, deren Glanz und Skandalgeruch noch lange nachhallte. Mal augenzwinkernd, mal mahnend. Dann wiederum so humorvoll, dass Tränen gelacht wurden: Denn wer schafft schon einen literarischen Spagat zwischen Frauenwahlrecht vor 100 Jahren und dem Dilemma aus Faltenstress und Fettpölsterchen einer Midagerin heutiger Zeit? Christina Brudereck konnte das. Mit einer kräftigen Prise Selbstironie („Über 50 kann man immer noch eine Menge Blödsinn machen – nur langsamer!“) und mit liebevollem Blick auf ihren Herzensmenschen am Piano.

Ben, so nennt sie Dr. Benjamin Seipel, den Dozenten an der Hochschule in Köln, den Mann, der ihre Worte in Musik kleidet. Der die Comedian Harmonists covert und Marlene Dietrich imitiert. Und der ihren Zeit- und Gedankensprüngen mit virtuoser Improvisation zur Seite steht, von Bach bis Bourani. „Du bist so toll“, flüstert sie ihm zu.

Ungeheuer dicht ist dieses Seite-an-Seite aus Musik, Gesang und Wortspiel. Christina Brudereck erinnert an Charlie Chaplin, die Dreigroschenoper, das Grammophon und den ersten Wetterbericht. In einem Feuerwerk aus Sprachkunst, echtem Humor und kleinen literarischen Seitenhieben.

Maple Leaf Rag am Steinway-Flügel

Am mehr als 100 Jahre alten Steinway-Flügel jagt Ben Seipel dazu den Maple Leaf Rag von Scott Joplin über die Tasten, was ihm den frenetischen Applaus der Zuhörer beschert. Dann steht da plötzlich die Frage nach dem Wert von Demokratie im Raum – im Rückblick auf die Weimarer Republik und in banger Beobachtung aktueller Radikalisierungen.

100 Jahre im Zeitraffer: Was hat sich tatsächlich verändert? Und wo erscheint eventuell Bekanntes im neuen Gewand? „Ich hab noch einen Koffer in Berlin“, singt Ben Seipel in die nachdenkliche Stille hinein.

Außergewöhnliches Abschiedsgeschenk

Es war Pfarrer Hartmut Birkelbach, der in seiner Begrüßung ein „in jeder Hinsicht außergewöhnliches musikalisches Geschenk“ angekündigt hatte. Zu Recht, wie die Begeisterungsstürme des Publikums immer wieder zeigten. Und genau darin lag auch „das Geschenk im Geschenk“ verborgen: Denn diese Vorpremiere, dieser erste große Auftritt vor Publikum nach so langer Kunst-Pause, war zugleich das Abschiedsgeschenk des Duos „2Flügel“ an den Pfarrer für Kulturarbeit.

Eine Hommage an den Mann, der Kirche und Kultur zu einer Einheit verwoben hat, die weit über den heimischen Kirchenkreis hinaus Alleinstellung genießt. Und so war er es auch, der mit seinem feinen Gespür für anspruchsvolle Kulturevents den Impuls gegeben hatte für die Erstaufführung der „Goldzwanziger“ in Bad Oeynhausen.

„Schubs-Engel“ mit langen, hellen Locken

Dafür fand Christina Brudereck liebevolle Worte: „Ich wusste schon immer, dass ‚Schubs-Engel‘ lange, helle Locken haben!“ Und so ermunterte das Duo „2Flügel“ mit seiner Rückschau auf die „goldenen“ 1920er Jahre, „nicht nur zu glänzen, sondern zu leuchten und das innere Licht zum Strahlen zu bringen“, wie Christina Brudereck es formulierte.

Eine Inspiration gegen das Vergessen und für das Vertrauen in eine Welt, die Hingucker, Mutmacher und Tatkräftige braucht. „Here`s to the ones who dream“, singt Ben Seipel. Und lässt zum Ausklang des Abends noch sanft den Mond aufgehen – am Klavier und in den Herzen der Zuhörer.

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